Deepfakes im Wahljahr 2024: Die neue Waffe der Desinformation?

Nächste PM

Wenn die Lüge zum Leben erwacht

Es ist Wahlkampf 2024. Millionen Bürger sitzen vor ihren Bildschirmen, als plötzlich ein Video viral geht: Ein führender Politiker einer Partei taumelt scheinbar betrunken über eine Bühne, lallt unverständliche Worte ins Mikrofon. Innerhalb von Minuten teilen Millionen das Video, empörte Kommentare überschwemmen die sozialen Medien. Doch was die meisten nicht wissen: Das Video ist ein Deepfake - eine täuschend echte digitale Fälschung.

Nur wenige Stunden später taucht ein weiteres Video auf: Diesmal zeigt es einen Gegenkandidaten, wie er angeblich Bestechungsgelder von einem ausländischen Diplomaten annimmt. Auch dieses Video ist eine Fälschung, aber der Schaden ist bereits angerichtet. Das Vertrauen der Wähler ist erschüttert, Zweifel an der Integrität beider Kandidaten säen Chaos im Wahlprozess.

Diese Szenarien mögen fiktiv sein, doch sie zeigen eindrücklich die Macht und Gefahr von Deepfakes in der politischen Arena. Wenn ein einziges virales Video den Ausgang einer Wahl beeinflussen kann, dann stehen wir vor der gewaltigen Herausforderung, Wahrheit von Täuschung zu unterscheiden. Tools wie ChatGPT und andere generative KI-Plattformen haben es einfacher gemacht, Desinformationskampagnen zu erstellen. Sie ermöglichen es böswilligen Akteuren, glaubhafte Propaganda auf Knopfdruck zu verbreiten. Besonders in Ländern mit knappen Wahlergebnissen könnte dies die Wahl entscheidend beeinflussen. Es besteht zudem die Gefahr, dass Deepfakes das Vertrauen in demokratische Prozesse nachhaltig beschädigen und die Legitimität gewählter Führungen in Frage stellen. In manchen Situationen könnten auch Schurkenstaaten versuchen, das Vertrauen in den gesamten demokratischen Prozess zu untergraben, so dass der Sieger es schwer haben wird, mit Legitimität zu regieren. 

Manipulierte Videos von Politikern

Beispiele gefällig? Vor einigen Jahren ging ein Deepfake-Video von Barack Obama viral, in dem er scheinbar Präsident Trump beleidigt. Obwohl dieses Video als Warnung vor den Gefahren von Deepfakes erstellt und gekennzeichnet wurde, fielen reihenweise Menschen darauf rein. Ähnlich wurde ein manipuliertes Video von Angela Merkel erstellt, in dem sie eine Rede über das Verhalten der Bürger während der Corona-Pandemie in Versform hält. Auch dieses Video sollte auf die Möglichkeiten von Deepfakes aufmerksam machen.

Auf X tauchen regelmäßig täuschend echte Deepfake-Bilder von Prominenten und Politikern auf, die nicht immer als Fälschungen gekennzeichnet sind. Papst Franziskus in einer Daunenjacke wie ein Rapper und Donald Trump, der die chinesische Flagge umarmt und küsst – nicht jeder nimmt dies mit Humor, sondern für bare Münze. Facebook meldete, dass es zwei Netzwerke von Fake-Accounts auf seiner Plattform und Instagram gelöscht hatte. Eines davon war ein chinesisches Netzwerk, das Deepfake-Profilfotos für Fake-Accounts nutzte, um Propaganda zu geopolitischen Themen wie maritimer Sicherheit im südchinesischen Meer zu verbreiten.

Deepfakes im Wahlkampf

Die Landtagswahlen in drei deutschen Bundesländern zeigten kürzlich eindrucksvoll, dass Deepfakes bereits zum Standard gehören. In Thüringen kursierte ein Deepfake-Video, das den Spitzenkandidaten der CDU in einer kompromittierenden Situation zeigte. Das Video wurde schnell als Fälschung entlarvt, sorgte aber für erhebliche Verwirrung und Diskussionen in den sozialen Medien. In Sachsen wurde ein Deepfake-Video verbreitet, das eine Rede eines AfD-Politikers so manipulierte, dass er rassistische Aussagen machte. Auch dieses Video wurde als Fälschung identifiziert, hatte aber bereits viele Menschen erreicht. In Brandenburg tauchte ein Deepfake-Interview auf, in dem ein SPD-Politiker angeblich kontroverse Aussagen über die Wirtschaftspolitik machte. Dieses Interview wurde ebenfalls als Deepfake entlarvt.

Auch im Ausland, wo ebenfalls viele richtungsweisende Wahlen stattfanden/stattfinden werden, sorgten Deepfakes für Verwirrung und Desinformation:

Slowakei:
Bei den Präsidentschaftswahlen 2023 wurde ein Audio-Deepfake des progressiven Kandidaten Michal Simecka verbreitet. In der gefälschten Aufnahme "gestand" er angeblich, die Wahl manipulieren und den Bierpreis verdoppeln zu wollen.

USA
Vor den Vorwahlen zur US-Präsidentschaftswahl 2024 wurden gefälschte Stimmen eingesetzt, die Joe Biden imitierten und versuchten, Wähler zu beeinflussen. In New Hampshire erhielten Bürger im Januar 2024 einen KI-generierten Fake-Anruf von "Joe Biden", der sie aufforderte, nicht an den Vorwahlen teilzunehmen.

Türkei:
Kurz vor den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen zeigte Präsident Erdoğan ein manipuliertes Video, das seinen Hauptkonkurrenten Kemal Kılıçdaroğlu fälschlicherweise mit der terroristischen PKK in Verbindung brachte.

Bangladesch:
Ende 2023 wurde ein Deepfake-Video der Oppositionsführerin Rumin Farhana verbreitet, dass sie in einem Bikini zeigte. Dies löste in dem mehrheitlich muslimischen Land große Empörung aus.

Diese Beispiele zeigen, dass Deepfakes bereits in verschiedenen Ländern und auf unterschiedliche Weise im politischen Kontext eingesetzt werden. Die Auswirkungen können erheblich sein: Eine Studie in den USA ergab, dass 81,5 Prozent der Wähler nach dem Sehen von Deepfakes ihre geplante Wahlentscheidung in Frage stellten und 36Prozent sie sogar komplett änderten.

Was tun Technologieunternehmen?
Social-Media-Plattformen wie YouTube und Facebook reagieren bislang nur zögerlich auf Deepfakes. Dies ist besonders problematisch, da ein neues EU-Gesetz, der Digital Services Act, sie verpflichtet, gegen Wahlmanipulationen vorzugehen. OpenAI plant die Einführung von Wasserzeichen-Technologien, um KI-generierte Inhalte besser zu kennzeichnen. Dies ist ein wichtiger Schritt, aber möglicherweise nicht ausreichend angesichts des globalen Ausmaßes der Bedrohung. 
Das sind jedoch nur kleine Schritte.  Es besteht die berechtigte Sorge, dass die technologische Reaktion auf die Bedrohung angesichts des weltweiten Wahlfiebers zu wenig ist und zu spät kommt. Vor allem wenn sie in relativ geschlossenen Netzwerken wie WhatsApp-Gruppen oder Robocalls verbreitet werden, wird es schwierig sein, gefälschte Audio- oder Videodateien schnell aufzuspüren und zu entlarven. 

Der Blick nach vorn
Die erste Information, die Menschen hören, ist diejenige, die sich in unserem Gedächtnis festsetzt, selbst wenn sie sich als falsch herausstellt. Wenn die „Deepfaker“ die Wähler zuerst erreichen, kann man nicht mehr darauf wetten, wer letztendlich der Sieger sein wird. Im Zeitalter der sozialen Medien und der KI-gestützten Desinformation bekommt Jonathan Swifts Sprichwort „Die Lüge fliegt, und die Wahrheit humpelt hinterher“ eine ganz neue Bedeutung.